«Von der traditionellen Industriestadt zur innovativen Bildungsstadt»
Lehrperson ausgefallen? «angela works»! Das gleichnamige Start-up gründete die Winterthurerin Angela Jetter im Februar 2020 – also gleich zu Beginn der Corona-Krise – und vermittelt durch ihr Netzwerk von über 1000 Vikarinnen und Vikaren an Schulen in der ganzen Region Winterthur. Sie wurde mit ihrem Startup «angela works» zum Stellenschaffer Spezial – Mutmacher 2020 von House of Winterthur nominiert und hat sich über das Online-Voting den 2. Platz ergattert.
Herzlichen Glückwunsch zum 2. Platz des Stellenschaffer Spezial – Mutmacher 2020 mit deinem Start-up «angela works». Was hat dir im Jahr 2020 Mut gemacht?
Die herzlichen Reaktionen aus meinem Umfeld darauf, dass ich aus dem Bauch heraus mein Start-up «angela works» gegründet habe. Sie waren fasziniert, wie motiviert und mutig ich einfach gestartet habe. Zudem das Feedback seitens Schulleitenden, die sich durch meine Dienstleistung oft «gerettet» fühlen sowie die Vikarinnen und Vikare, die durch das Netzwerk zu Einsätzen kommen. Persönlich hat mir im 2020 Mut gemacht, dass wir als Familie diese Krise gemeistert haben und zu erleben, dass wir so gut funktionieren. Auch die Gesellschaft als Ganzes, wie wir gefühlt näher zusammengerückt sind und einander unterstützen, stimmt mich zuversichtlich.
Der Leiter Wirtschaft von House of Winterthur Roger Graber prämiert die zweitplatzierte Angela Jetter.
Was hat dich dazu bewogen, beim Stellenschaffer Spezial – Mutmacher 2020 mit «angela works» mitzumachen?
Auch das war ein schönes Miteinander – ich wurde von jemandem aus meinem Umfeld darauf hingewiesen. Als stolze Winterthurerin und da ich mit «angela works» direkt zu Beginn der Krise gestartet bin, passte das sehr gut.
«Jede Schule wurstelt dabei für sich und telefoniert ihre Liste ab. Da fing es bei mir an zu rattern, dass es dafür doch eine bessere Lösung geben müsste.»
Und nun nochmals für alle: How does «angela works» work?
Zentral bei «angela works» ist das Vikariatsnetzwerk, wobei ich bei kurz- bis langfristigen Lehrerausfällen mit über 1300 Kontakten an Vikarinnen und Vikaren eine Stellvertretung vermittle – mittlerweile sogar über die Kantonsgrenze hinaus. Da Vikarinnen und Vikare ein «Züribegriff» ist, hier die Klärung des Begriffs: ein Vikariat ist eine Stellvertretung im Lehrerberuf. Die Schulleitenden melden sich also bei mir via Webformular und von da aus starte ich. Zum einen schreibe ich dies je nachdem auf den Jobportalen aus und streue es auch über soziale Kanäle – hier wächst meine Verteilerliste organisch, dadurch, dass ich viel im Austausch mit den Pädagogischen Hochschulen, Studierenden sowie Schulen bin. Ich bin also bei «angela works» Netzwerkerin sowie Recruiterin und schaue jeweils, dass ich für die ausgefallene Stelle oder Lektionen, die passende Vertretung finde. Anschliessend ist mein Job getan und die Schulleitung schaut alle weiteren Details mit der entsprechenden Stellvertretung an.
Angela Jetter im Interview mit House of Winterthur
Was war der Auslöser und Antrieb zur Gründung des Vikariatsnetzwerks für den Bildungsstandort Stadt und Region Winterthur?
Durch meinen Quereinstieg als Lehrerin unterrichtete ich während neun Jahren an der Schule Langwiesen in Winterthur – da gab es einen Schlüsselmoment: Ich war mit der Schulleitung beim Mittagessen, als ein Anruf reinkam, dass ein Lehrer krank sei – die Mittagspause war dahin, da nun die Suche nach einer Stellvertretung losging. Jede Schule wurstelt dabei für sich und telefoniert ihre Liste ab. Da fing es bei mir an zu rattern, dass es dafür doch eine bessere Lösung geben müsste. Kurz daraufhin habe ich gekündigt und mich dazu entschieden, diese Rolle der Vermittlerin zu übernehmen und machte mich selbstständig. Es dauerte kaum eine Woche und ich wurde von Anfragen überrannt, da sich das Ganze sehr schnell herumgesprochen hatte. Das Netzwerk wächst nun stetig und ich werde bei den Anfragen immer systematischer dank digitalen Möglichkeiten.
«Kaum gestartet, kam Corona – und das Bedürfnis nach Vikarinnen und Vikaren ist eingebrochen.»
Du bietest mit deinem Dienst «sorglos» zudem den Schulleitenden eine nachhaltige Entlastung bei spontanen Lehrpersonenausfällen und sagst, dass «die Lösung nur ein SMS entfernt liegt». Sind es manchmal auch zwei, drei SMS? Was sind die Herausforderungen?
Mittlerweile ist es ein Webformular und kein SMS mehr. So habe ich alle relevanten Informationen seitens Schulleitung gesammelt vor mir und kann mich so gezielt auf die Suche der passenden Stellvertretung machen. Mir ist es wichtig, dass ich die Qualität gewährleisten kann und lasse hier jeweils einen Verhaltenskodex von den Vikarinnen und Vikaren unterschreiben. Da ich auch über die Kantonsgrenze hinaus Stellvertretungen vermittle und diese unterschiedliche Vorgaben haben – wie beispielsweise Lohn oder wer welche Stufen unterrichten darf – ist das jeweils ein Jonglieren, dass die richtige Stellvertretung zum richtigen Ort vermittelt wird. Und das je nachdem innert kürzester Zeit.
Vor der Gründung ihres Start-ups arbeitete Angela Jetter selbst als Lehrerin. © Enzo Lopardo / enzolopardo.pictures
Wie hat sich dieses Bedürfnis nach einer agilen Vermittlung qualifizierter Stellvertretungen für den Schulunterricht durch COVID-19 im Jahr 2020 verändert?
Kaum gestartet, kam Corona – und das Bedürfnis nach Vikarinnen und Vikaren ist eingebrochen. Der Vikariatsbereich ist im Bildungssystem schlecht abgesichert und demnach eine in solchen Situationen schwierige Arbeitssituation. Jedoch habe ich diese Krise genutzt, um das Netzwerk weiter auszubauen, Kontakte zu knüpfen und mich für diesen Bereich einzusetzen. Ich war dabei viel im Austausch mit Lehrpersonen, Schulleitungen, Pädagogischen Hochschulen bis Verbänden und Bildungsdirektion. Wir sind so nahe gemeinsam gewachsen, was das Netzwerk enorm gestärkt hat.
Was hat dich in dieser Situation zuversichtlich bleiben lassen?
Dass es wieder aufwärts geht und die Schulen irgendwann wieder öffnen werden beziehungsweise müssen. Ich habe das Bedürfnis bereits vor der Krise erkannt und war überzeugt, dass sobald die Schulen wieder offen sind, die Nachfrage auch wieder steigt. Und so war es dann auch – die Nachfrage steigt seit Sommer konstant.
«Ich habe das Bedürfnis bereits vor der Krise erkannt und war überzeugt, dass sobald die Schulen wieder offen sind, die Nachfrage auch wieder steigt.»
Wo siehst du im Bildungsbereich Risiken und Chancen durch die Corona-Situation?
Die Chance wurde genutzt beziehungsweise musste genutzt werden, ganz viel Neues auszuprobieren. Wo vor der Pandemie noch Vorbehalte waren, wurden gerade durch das Home-Schooling neue digitale Systeme genutzt und auch ausserhalb des Schulsystems Angebote wie Singen, Tanzen oder Basteln über digitale Medien initiiert. Risiken sind auf jeden Fall, dass die Schere der Chancenungleichheit noch mehr aufging und man je nachdem den ganzen Tag vor dem Computer sitzt oder überehrgeizige Eltern überhandnehmen. Die soziale Interaktion hat auf jeden Fall im Lockdown gefehlt und dadurch enorm an Bedeutung zugenommen.
In den neuen digitalen Angeboten sieht Angela Jetter eine Chance der Pandemie. © Enzo Lopardo / enzolopardo.pictures
«Ich wünsche mir, dass wir in Winterthur innovativ und mutig voranschreiten, Neues entsteht, wir eine Art Denkfabrik sind – von der traditionellen Industriestadt zur innovativen Bildungsstadt.»
Wo siehst du den Bildungsstandort Winterthur in der Zukunft?
Ich wünsche mir, dass wir in Winterthur innovativ und mutig voranschreiten, Neues entsteht, wir eine Art Denkfabrik sind – von der traditionellen Industriestadt zur innovativen Bildungsstadt. Das leitet direkt zu den pulsierenden Start-ups über. Ich habe mit meinem Start-up viele Berührungspunkte mit dem Home of Innovation, wo ich ab und zu «coworke». Eines meiner Lieblingserlebnisse war die Startup Night am Technopark, die mir einen enormen Motivations-Boost und viel Inspiration geschenkt hat – und ich zudem viele spannende Leute kennengelernt habe. Ich finde es vor allem schön, dass die Start-up-Szene in Winterthur allen zugänglich ist und ich da jederzeit reinspazieren, mich sein kann und dabei ernst- und wahrgenommen werde. Das braucht auch Mut, einfach mal hinzugehen und zu sagen: «Ja, ich bin auch eine Innovatorin».
Was würdest du aus deiner Erfahrung vom ersten Jahr mit deinem Start-up «angela works» «Mutmachendes» an Gründerinnen und Gründer mitgeben?
Klingt etwas nach Kalenderspruch, aber: Einfach mal machen und starten (lacht). Anstatt eine Idee ganz zu Ende denken zu wollen, entsteht vieles auf dem Weg dahin, was man nicht immer voraussehen kann. Wie jetzt mit Corona. Und Mut zu haben, an sich selber zu glauben – dass man Lösungen dann findet, wenn sie gefragt sind und selber an Herausforderungen zu wachsen.
Du warst selbst Lehrerin in Winterthur bzw. bist auch heute selbst noch Vikarin – früher jedoch mehr die Managerin im Bereich Marketing und Hotelfach bis zur Reiseleiterin. Inwiefern kommt dir das heute als Networkerin und Recruiterin von Schulen mit deinem Start-up «angela works» zugute?
Ich war bereits, als ich für eine Zeit in London gelebt habe, selbstständig – damals aber mehr in der Musikbranche. Da habe ich das Netzwerken gelernt, auf Leute zugehen, vernetztes Denken entwickeln, mit Konkurrenz umgehen. Natürlich sind auch Marketingaspekte im Lehrerbereich zentral oder meine PR-Erfahrung im Umgang mit Medien. Als Reiseleiterin war ich oft der Troubleshooter und musste das Gegenüber auch mal beruhigen – wie auch heute, wenn ein Lehrerausfall ist, entlaste und unterstütze ich so die Schulleitenden mit meiner Dienstleistung. Grundsätzlich spielen alle Aspekte aus meiner beruflichen Laufbahn eine Rolle und ich kann die Essenz daraus in mein Start-up «angela works» einfliessen lassen. Ich habe durch «angela works» also meinen Traumjob kreiert, der alles verbindet.
«Den Mix aus Natur und dem kulturellen Angebot geniesse ich sehr.»
«angela works» stellt für Angela Jetter einen Traumjob dar.
Du warst nicht nur in unserem Online-Voting Stellenschaffer Spezial – Mutmacher 2020-Video zu «angela works» vor der Kamera zu sehen, sondern auch im Schweizer Fernsehen bei der Sendung «Mini Schwiiz, dini Schwiiz» und hast als Wülflingerin deine Heimat Winterthur transportiert. Wie ist dein Bezug zu Winterthur, insbesondere Wülflingen?
Ich bin in Elgg aufgewachsen, habe das Gymnasium an der Kantonsschule Büelrain gemacht und musste dann aber einfach mal raus – lebte eine Zeit lang in London und war als Reiseleiterin viel unterwegs. Als ich dann meinen Mann – ein waschechter Wülflinger – kennengelernt habe, zog es mich zurück in die Heimat und von da an geniesse ich die ländlichen bis städtischen Vorzüge von Winterthur. Ich fühle mich hier zu Hause und mag es, viele Leute hier zu kennen und zugleich anonym durch die Stadt gehen zu können. Den Mix aus Natur und dem kulturellen Angebot geniesse ich sehr.
Zu Angela Jetters Lieblingsorten gehört das Totentäli in Wülflingen.
«Mein Lieblingsort ist das Totentäli bei Hoh-Wülflingen – besonders wenn der Bärlauch blüht.»
Dein Lieblingsort in Winterthur zu Corona-Zeiten:
Das Totentäli bei Hoh-Wülflingen wenn der Bärlauch blüht – ist jetzt dann soweit. Da geh ich gerne mit den Kindern und der ganzen Familie hin, an der Burgruine vorbei und auf dem Gupf bei den hohen Bäumen ein Feuer machen.
Deine Lieblingsbeschäftigung, wenn wir uns Corona mal wegdenken:
Oh, die Afropfingsten oder die Musikfestwochen – ich mag das gesellige Leben in Winterthur, am Wochenmarkt, wenn sich meine Kinder wieder aufregen, wenn ich ständig jemanden kenne, oder durch den Flohmarkt in der Steinberggasse schlendern. Eher neu entdeckt habe ich für mich den Lagerplatz – einen Feierabenddrink im Portier, darauf freue ich mich.
Alessia Baumgartner und Roger Graber