«Künstliche Intelligenz wird uns stumpfsinnige Aufgaben abnehmen»
Künstliche Intelligenz kommt schon heute vielerorts in der Arbeitswelt zum Einsatz. Doch wer befürchtet, dass Roboter in naher Zukunft viele Arbeitsplätze überflüssig machen werden, der irrt. Dieser Meinung ist zumindest Helga Rietz, Physikerin, Wissenschaftsjournalistin und Leiterin der Wissenschaftskommunikation des ETH AI Centers. Im Interview erklärt sie, welche Chancen Künstliche Intelligenz mit sich bringt und wo sie an ihre Grenzen stösst.
Wie erklärt man einem Laien, was Künstliche Intelligenz ist?
Helga Rietz: Nach einer gängigen Definition meint der Begriff Künstliche Intelligenz oder kurz KI, dass eine Maschine Dinge tut, von denen wir Menschen glauben, dass dafür Intelligenz notwendig sei. Um jetzt nicht gleich ins Philosophische abzugleiten können wir so formulieren: künstliche Intelligenz ist die Fähigkeit einer Maschine, menschliche Fähigkeiten wie logisches Denken, Lernen, Planen und Kreativität, aber auch Analysieren und Entscheiden, zu imitieren.
Helga Rietz leitet die Wissenschaftskommunikation des ETH AI Centers und war davor bei der NZZ sowie als freie Journalistin unter anderem für die Zeit und den Deutschlandfunk tätig.
Wie intelligent ist denn die Künstliche Intelligenz? Wo und wann stösst auch sie an ihre Grenzen?
Künstliche Intelligenz scheitert immer wieder spektakulär – und zwar gerade nicht an den besonders schwierigen Aufgaben, sondern an jenen, die jedes Kleinkind mühelos hinbekäme. Eine stete Quelle unterhaltsamer Fehlleistungen von KI sind Bilderkennungsprogramme, die zuweilen Kekse nicht von Hunden unterscheiden können. An sich sehr gute automatische Übersetzer verkehren schon mal den Sinn eines Satzes in sein Gegenteil. Und eines der derzeit besten Sprachmodelle, GPT-3, hatte erstaunlich prompt eine Antwort auf die Frage «Was essen Spiegeleier zum Frühstück?» parat: «Toast und Obst». Ich wette, Sie hätten da länger überlegen müssen. Solche Beispiele gibt es zuhauf; etliche wissenschaftliche Veröffentlichungen widmen sich allein der Untersuchung solcher Fehlschläge. Diese können uns nämlich viel über die Arbeitsweise der KI verraten, und damit Hinweise liefern, wie sie verbessert werden kann.
Wo kommt sie gegenwärtig im Arbeitsalltag schon zum Einsatz, z.B. im Gesundheitsbereich?
Einer der allerersten Chatbots war in gewisser Weise schon eine medizinische KI Anwendung – oder zumindest ein Vorläufer davon: Eliza, so hiess das Programm, das Joseph Weizenbaum 1964 bis 1966 am MIT entwickelte, simulierte eine Psychotherapeutin. Das funktionierte erstaunlich gut: Menschen, die mit Eliza interagierten, gaben zu Protokoll, sich geborgen und verstanden zu fühlen. Heute können sie die – wesentlich weiter entwickelten - Nachkommen von Eliza als App fürs Smartphone kaufen. Für den klinischen Alltag werden verschiedenste Programme zur Früherkennung von chronischen Erkrankungen erprobt, zum Beispiel bei der diabetischen Retinopathie, einer Augenerkrankung. Ausserdem gibt es Apps für’s Handy, die anhand der Kamerabilder überprüfen, ob zum Beispiel eine bestimmte Fitnessübung korrekt ausgeführt wird.
Welche Berufe werden inwiefern von KI profitieren?
Fast jeder Beruf geht ja mit repetitiven, stumpfsinnigen oder körperlich anstrengenden Aufgaben einher. Bei einer Ärztin oder einem Pfleger kann das das Protokollieren von Patientengesprächen und Behandlungen sein, der ganze «Papierkram». Hier gibt es Vorschläge, die Erledigung der Aufgaben mit Hilfe von KI zu beschleunigen oder massiv zu vereinfachen, weil die gerade die Dinge sind, die KI gut kann: Datenberge erfassen, durchsuchen und ordnen. Ganz ähnlich könnte eine KI aber auch Anwälte unterstützen, oder eben einen Stadtplaner, der die urbanen Verkehrsflüsse verstehen und sinnvoll leiten soll. Und weil es solche repetitiven Aufgaben in praktisch jedem Beruf gibt, können wir durchaus damit rechnen, dass KI-Werkzeuge auf lange Sicht in fast jedem Berufszweig auftauchen.
Wird KI gewisse Berufe überflüssig machen?
So schnell nicht. Jeder Beruf hat einen zutiefst menschlichen Kern, der sich nicht automatisieren lässt. Für diesen werden immer Menschen zuständig bleiben. Aber jeder Beruf hat eben auch mühsame, repetitive Anteile, die uns fortschrittliche KI-Anwendungen erleichtern können.
Welche neuen Berufe und Unternehmen werden möglicherweise entstehen?
So neu ist das meiste, was da entsteht, gar nicht. Eher verhält es sich so, wie auch schon bei der Industrialisierung und der Digitalisierung: Aufgabenteile, die zuvor recht aufwendig von Menschenhand erledigt wurden, werden an eine Maschine, einen Computer oder eben an eine KI abgegeben. Davon verschwindet ein Beruf per se nicht. Aber der Arbeitsalltag wandelt sich.
Wie gut ist die Schweiz insbesondere die Region Winterthur und Zürich im internationalen Vergleich im Bereich KI positioniert?
Die Dichte an KI-Forscherinnen, -Startups und -Firmen ist im Grossraum Zürich schon aussergewöhnlich hoch: An der ETH wird schon seit Jahrzehnten zur künstlichen Intelligenz geforscht, mit Unispital und Balgrist haben wir bedeutende Standorte der Medizintechnik und Lifesciences in nächster Nähe. Grosse IT-Konzerne mit wichtigen Schnittstellen zur KI – Google, Apple, Meta, Disney und IBM – forschen ebenfalls seit Jahren in Zürich. Hinzu kommen eine lebendige Startup- Szene, die zahlreichen ETH-Spin-offs, ein offener, innovationsfreudiger Unternehmergeist. All das schafft eine ideale Ausgangslage für die interdisziplinäre, kollaborative Weiterentwicklung von KI.
Was sind die Voraussetzungen für eine Volkswirtschaft, um auf diesem Gebiet erfolgreich zu sein?
Es braucht ein Ökosystem, in dem Forschung, Industrie und Politik vernetzt zusammenarbeiten, damit die neuen Technologien nicht nur erfunden werden, sondern auch in sinnvolle, gewollte Anwendungen münden. Der mutmasslich schwierigste Part daran ist die Regulierung: Was soll erlaubt sein von einer neuen Technologie, deren Auswirkungen wir noch gar nicht so richtig absehen können? Aber auch in diesem Punkt sind die relevanten Akteure in unserer Region am Ball, etwa mit der Innovations-Sandbox für KI, die das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich in diesem Jahr gestartet hat.
Am 30. September dreht sich im Rahmen der Veranstaltung «Der Roboter - unser neuer Freund und Helfer?» alles um das Thema Künstliche Intelligenz. Neben Helga Rietz werden mehrere spannende Speaker das Thema von verschiedenen Seiten beleuchten.
Neben vielen anderen spannenden Speaker/-innen stehen auch Sie an unserem KI-Anlass vom 30. September im Technopark in Winterthur auf der Bühne. Worauf können sich die Besuchenden freuen?
Auf abwechslungsreiche Vorträge und viel «food for thought». Sie werden überrascht sein zu sehen, wie viel im Bereich KI-Forschung und -Entwicklung im Raum Zürich schon läuft, und hinterher besser verstanden haben, wie, wo und warum KI eingesetzt werden kann.
Interview: Linda Stratacò, August 2022