«Zürich macht beim Thema Startups einiges richtig gut»
Seit Anfang Jahr leiten Samuel Mösle und Markus Müller gemeinsam die Standortförderung des Kantons Zürich. Nach rund 100 Tagen im Amt ziehen die beiden im Interview ein erstes Fazit und schauen in die Zukunft.
Mit Ihrem Start als Co-Leiter der Standortförderung ist auch eine Veränderung in der Struktur des Amtes für Wirtschaft und Arbeit einhergegangen. Wie hat diese ausgesehen?
Markus Müller: Der Zürcher Regierungsrat hat auf Antrag der Volkswirtschaftsdirektion im Sommer 2022 entschieden, das AWA per 1. Januar 2024 in zwei eigenständige Ämter zu transformieren. Ziel der Transformation war es, die Leistungen zu bündeln und den Fokus auf den Wirtschaftsstandort sowie auf den Arbeitsmarkt zu stärken. Mit der Schaffung eines eigenständigen Amts für Wirtschaft gelingt es, den standortpolitischen Themen in Zukunft mehr Gewicht zu verleihen und intern von schlankeren Strukturen und Entscheidungswegen zu profitieren.
Samuel Mösle: Die beiden Ämter sind auch weiterhin eng verzahnt und in einem regen Austausch, zum Beispiel durch gemeinsame, amts-übergreifende Projekte im Thema Fachkräfte.
Wie sind Sie beide als Führungsduo aufgestellt?
Samuel Mösle: Vor unserem Antritt wurde die Standortförderung durch unseren Vorgänger Fabian Streiff geleitet, der heute in der Funktion des Amtschefs das Amt für Wirtschaft leitet. Gründe für die Einführung einer Co-Leitung für die Standortförderung liegen in der Themenvielfalt und in der Bereichsgrösse, die mit Blick in die Zukunft für eine einzelne Person immer schwieriger zu handhaben ist. Dank unserer Co-Leitung können wir neben unseren Leitungsaufgaben auch vermehrt eigene Projekte und Themen betreuen und noch stärker mit unseren Kundinnen und Kunden in Kontakt stehen.
Markus Müller: Wir haben aktuell drei Themenschwerpunkte in der Standortförderung: die Standortentwicklung, Branchenvielfalt sowie die Innovationsförderung. Ich betreue das Thema Innovationsförderung. Das Thema Standortentwicklung liegt in der Verantwortung von Samuel, und für die Branchenvielfalt sind wir gemeinsam verantwortlich.
Markus Müller (links) und Samuel Mösle leiten seit Anfang Jahr gemeinsam die Standortförderung im Amt für Wirtschaft des Kantons Zürich.
Welche inhaltlichen Schwerpunkte hat die Standortförderung in den kommenden Jahren?
Samuel Mösle: Da gibt es verschiedenste Themen, die uns in naher und auch ferner Zukunft beschäftigen werden. Um nur einige zu nennen: Der Fachkräftemangel begleitet uns schon eine Weile und wird uns auch in Zukunft beschäftigen. Da arbeiten wir, wie bereits erwähnt, gemeinsam mit dem Amt für Arbeit beispielsweise an einem Projekt, welches mehr Frauen in die IT-Berufe bringen will. Ebenso beschäftigen wir uns mit dem Thema der künftigen Skills, die der Zürcher Arbeitsmarkt benötigt. Aktuell sehr wichtig und zukunftsweisend ist die Digitalisierung der Verwaltung. Ziel aus unserer Sicht ist es, dass wir alle Leistungen des Kantons für Unternehmen über einen «Single Point of Contact» online zugänglich machen wollen.
Markus Müller: Beim Thema Innovationsförderung sind wir gerade in der Erarbeitung eines Massnahmenkatalogs mit Blick auf die Stärkung des Innovationsstandorts 2030. Potential sehen wir unter anderem in der Stärkung des Investorenumfelds, in der Stärkung der Zusammenarbeit der Firmen untereinander sowie in der Begleitung von ausgewählten Initiativen und Leuchtturmprojekten in unseren Schlüsselbranchen.
Welche Erkenntnisse haben Sie in den ersten 100 Tagen im Amt gewonnen?
Markus Müller: Vor allem, dass die Ämtertrennung sehr gut verstanden worden ist. Feedbacks, die ich von Partnerorganisationen und Stakeholdern erhalten habe, waren durchwegs positiv. Auch den Schritt, die Leitung der Standortförderung auf zwei Personen «aufzuteilen», wurde als mutig und modern wahrgenommen. Viele würden den Kanton Zürich eher als schwerfällig und konservativ beschreiben. Unsere Co-Leitung ist ein gutes Beispiel, um das Gegenteil zu beweisen. Der Kanton kann agil agieren und ist bereit, moderne Formen der Führung zu implementieren.
Samuel Mösle: Bei mir sieht es ähnlich aus, auch ich habe sehr viel positives Feedback erhalten. Vor allem auch deswegen, weil wir durch das Modell der Co-Leitung eigene Projekte betreuen und mehr Präsenz zeigen können. In der aktuellen Phase geht es aber erst mal darum, eine gute Situationsanalyse zu machen. Dafür führen wir etliche Gespräche. Welche Bedürfnisse haben die verschiedenen Partnerorganisationen und Steakholder, mit wem arbeiten wir bereits gut zusammen und wo sehen wir Potenzial für neue Projekte oder Netzwerke? Dieser Prozess dauert an und nimmt viel Zeit in Anspruch.
Stichwort Zusammenarbeit und Vernetzung, wie schätzen Sie die bisherige Zusammenarbeit mit den verschiedenen Wirtschaftszentren wie Winterthur ein?
Samuel Mösle: Ich wohne in Winterthur und merke, dass diese Verbundenheit bei den Winterthurer Partnern sehr positiv aufgenommen wird. Jedoch schwingt auch immer das Feedback mit, dass Winterthur als zweitgrösste Stadt im Kanton Zürich ab und zu vergessen wird. Dieser ständige Balanceakt zwischen dem grossen Player Zürich und den anderen Städten und Regionen beschäftigt uns täglich. Die Herausforderung besteht aber natürlich darin, dass man allen gerecht werden muss.
Markus Müller: Jede Region hat ihre Anforderungen, Chancen und Herausforderungen, so auch Winterthur. Um allen gerecht zu werden, pflegen wir enge Partnerschaften wie zum Beispiel mit House of Winterthur, dem Technopark, dem Home of Innovation oder der Stadt Winterthur. Diese Zusammenarbeit funktioniert schon gut, kann aber punktuell verbessert und für die Zukunft gefestigt werden.
Welche Rolle spielt die Förderung von Startups und jungen Unternehmen in der Strategie der Standortförderung?
Samuel Mösle: Bis anhing lag unser Fokus noch nicht allzu sehr auf der Startup-Thematik. Dies möchten wir ändern, da Startups natürlich wichtig für unser Ökosystem sind und auch viele unserer Partnerorganisationen das Thema als wichtig beurteilen. Man muss allerdings auch sagen, dass Startups im Kanton Zürich bereits ein hervorragend funktionierendes Ökosystem vorfinden. Deshalb werden auch so viele junge Unternehmen im Kanton gegründet. Der Kanton Zürich mach beim Thema Startup Förderung schon einiges richtig gut.
Markus Müller: Bei all unseren Bemühungen und Projekten ist es immer unser primäres Ziel, die Startups «mitzudenken». Ein Beispiel ist unser Netzwerk für autonome Systeme. Wir schauen bewusst, dass wir eine gute Verteilung zwischen Startups, KMU und Grosskonzernen haben. Damit schaffen wir eine Win-Win Situation: Die Startups kommen in Kontakt mit erfolgreichen Grosskonzernen und gleichzeitig profitieren Grosskonzerne von den Ideen der Startups.
Angesichts der Ergebnisse unserer Unternehmensbefragung 2023, sind der Preisdruck und die Inflation die grössten Herausforderungen für die Winterthurer Unternehmen. Können Sie durch Ihre Arbeit diese Themen überhaupt beeinflussen?
Markus Müller: Absolut! Preisdruck kommt dann zustande, wenn man sich mit den eigenen Produkten nicht von der Konkurrenz abheben kann. Genau da hilft Innovation. Mithilfe innovativer Lösungen kann man die Preise wieder selbst setzen. Da helfen wir mit unseren Programmen wie zum Beispiel KMU und Innovation.
Zum Abschluss, was macht für Sie den Wirtschaftsstandort Winterthur aus?
Samuel Mösle: Rein historisch gesehen ist klar, wofür Winterthur steht. Durch die Textil- und Maschinenbauindustrie hat Winterthur eine enorm reiche industrielle Vergangenheit. Durch den Strukturwandel müssen sich jedoch neue Schwerpunkte bilden, damit Winterthur ein attraktiver Arbeitsstandort bleibt. Durch The Valley konnte ein historisches Gebiet erfolgreich zum Zukunftsareal transformiert werden. Für mich steht Winterthur aber auch für Nachhaltigkeit in der Wirtschaft und der Gesellschaft – nicht nur durch Unternehmen wie WIN GD. Das Thema ist stark in der Bevölkerung verankert und wird hier gelebt. Ich persönlich bin zum Beispiel begeistert, was in der Lokstadt entstanden ist. Aus ehemaligen Industrieflächen wurden tolle Wohn- und Gewerbeflächen. Städtebaulich ist das ein Glanzpunkt. Doch: Der Erhalt von Industrie- und Gewerbeflächen ist aus unserer Sicht natürlich zentral und es sollen nicht flächendeckend ehemalige Industrie- und Gewerbeflächen in primäre Wohnareale umgenutzt werden. Wir brauchen auch Entwicklungsmöglichkeiten für unsere «lauten» Unternehmen.
Interview: Linda Stratacò, April 24