«Der ExerCube ist ein Werkzeug, welches hoffentlich vielen Patient:innen in der Rehabilitation hilft»

«Smart Health» ist schon längst in der Physiotherapie angekommen. Im sogenannten ExerCube des Zürcher Start-ups Sphery lässt sich nicht nur spielerisch die Fitness trainieren. Der Würfel kommt dank einem Projekt der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) auch bei der Rehabilitation nach Knieverletzungen zum Einsatz. Projektleiterin Eveline Graf erzählt im Interview, wie die Zukunft der Physiotherapie mit solchen digitalen Lösungen aussehen könnte.

Frau Graf, was ist der ExerCube und wie funktioniert er?
Eveline Graf: Es ist ein grosser Würfel, etwa 3 auf 3 Meter, der hinten offen ist und in dem man sich bewegt. Der ExerCube vom ZHdK-SpinOff Sphery bietet eine physisch-immersive Umgebung, in der verschiedenste ganzheitliche, spielbasierte Trainingsszenarien für Körper und Kopf absolviert werden können. Auf den 3 Wänden werden unterschiedlichste Spielszenarien projiziert, die einem Übungen vorgeben, welche man zum richtigen Zeitpunkt durchführen muss. Dazu trägt man Sensoren an den Fuss- und Handgelenken, sammelt Punkte und das Spiel passt sich an die jeweilige Spielleistung an. Im Rahmen von unserem Forschungsprojekt haben wir von der ZHAW, zusammen mit der ZHdK und Sphery ein neues Spielkonzept für die Sportrehabilitation entwickelt.

Prof. Dr. Eveline Graf ist Dozentin und Forscherin am ZHAW Institut für Physiotherapie und leitet dort unter anderem das Bewegungslabor.

Wie ist Zusammenarbeit mit dem Startup Sphery und der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) zustande gekommen?
Sphery und die ZHdK sind vor ein paar Jahren über Win4 mit der ZHAW in Kontakt gekommen, da dort eine erste Untersuchung mit dem ExerCube für junge Sportler:innen am Laufen war. Wir sind aus Forschungssicht immer an Produkten und Angeboten interessiert, die sich allenfalls für die Physiotherapie eignen. Und im ExerCube, der ebenfalls jahrelanger Forschungsarbeit entsprungen ist, sahen wir sehr rasch viel Potential für die Rehabilitation und haben uns so für ein Kennenlernen getroffen. Aufgrund des wissenschaftlichen Hintergrunds von Sphery waren auch sie interessiert an einem Austausch und so hat sich die Idee für ein Spiel für die Sportrehabilitation schnell in unseren Gesprächen ergeben. Gemeinsam haben wir dann mit der ZHdK rasch erste Vorprojekte initiiert, welche die Zusammenarbeit gestärkt haben und die Grundlage für das gemeinsame Projekt ExerUP! gelegt haben.

Die Studie ExerUP! lief von 2021-2023. Welche Erkenntnisse konnte das Forschungsteam durch die Studie gewinnen?
Im Rahmen von ExerUP! haben wir in einem interdisziplinären Team zusammen ein komplett neues Spielkonzept für den ExerCube erarbeitet, welches spezifisch in der Rehabilitation nach einer Knieverletzung, zum Beispiel einem Kreuzbandriss, zusätzlich zur konventionellen Physiotherapie eingesetzt werden kann. Dafür hat das Team zuerst mit Physiotherapeut:innen und Patient:innen gesprochen um ihre Bedürfnisse zu erheben. Basierend darauf haben wir ein Spielkonzept erarbeitet, welches dann von Game Designer:innen der ZHdK und von Sphery realisiert worden ist. Der finale Prototyp wurde durch Sphery dann bereits in ein Produkt übersetzt und kann jetzt in jedem ExerCube weltweit gespielt werden.

Wird es den ExerCube irgendwann in jeder Physio-Praxis geben?
Aufgrund der Dimensionen des ExerCubes in seiner aktuellen Form ist eher nicht zu vermuten, dass alle Physiotherapie-Praxen einen haben werden – wobei Sphery bereits an einer zusätzlichen, kleineren Version arbeitet. Aber in grösseren Praxen, welche mit einem Fitnesszentrum assoziiert sind, ist es sehr gut denkbar, wie man ja auch an den bestehenden Physio-Kund:innen von Sphery sehen kann. Das Training spricht ein vielseitiges Publikum an. Da es für die Sportrehabilitation zusätzlich zur konventionellen Physiotherapie gedacht ist, ist auch gut denkbar, dass Patient:innen selbständig im ExerCube trainieren können.

Im Rahmen der Studie wurde vor allem die Rehabilitation von Sportler:innen nach einer Knieverletzung untersucht. Ist angedacht, dass der ExerCube auch für andere Patientengruppen und nach anderen Verletzungen eingesetzt werden kann?
Ja, das ist sicher möglich. Wir haben im Rahmen von ExerUP! zwei verschiedene Spiele entwickelt, welche gemeinsam oder auch isoliert voneinander gespielt werden können. Das eine Spiel ist sehr spezifisch für das Knie. Bei einer anderen Verletzung, zum Beispiel der Schulter, macht dieses Spiel wenig Sinn. Aber natürlich sind wir in weiteren Projekten daran interessiert, auch für diese Verletzungen Spiele zu entwickeln. Wir sind aktuell daran, neue Projektideen auszuarbeiten. Das zweite Spiel, das wir entwickelt haben, trainiert nicht spezifisch ein Gelenk, sondern trainiert die Reaktionsfähigkeit, die Orientierung im Raum aber auch komplexe Körperbewegungen. Dieses Spiel kann sehr vielseitig eingesetzt werden.

Beim Training im ExerCube begibt man sich in einen offenen Würfel, auf dessen Wände eine virtuelle Umgebung projiziert wird.

Könnte der Cube auch in Altersheimen zur Mobilisierung von Senioren eingesetzt werden?
Dies ist bereits der Fall. Es gibt einige Spiele, die spezifisch für die Aufmerksamkeit, das Gedächtnis und das Dual-tasking (also das Ausführen von zwei Aufgaben gleichzeitig, zum Beispiel Gehen und Sprechen) trainiert, mit dem Ziel das Sturzrisiko zu senken. Dieses Spielkonzept wurde ebenfalls in einem interdisziplinären Forschung- und Entwicklungsprojekt mit anderen Institutionen entwickelt und evaluiert.

Wie offen sind Reha-Zentren für die Arbeit mit dem ExerCube?
Zu den Kund:innen von Sphery zählen u.a. bereits einige Rehazentren weltweit, wo der ExerCube erfolgreich im Einsatz ist. Generell ist es aber immer vom Fokus und den Ressourcen eines Rehazentrums abhängig. Grundsätzlich ist das Interesse an neuen Therapieformen, welche motivierend und effektiv sind, sehr gross und die Physiotherapeut:innen sind gegenüber solchen Technologien aufgeschlossen.

Denken Sie, dass ein ExerCube irgendwann bisher erprobte Physiotherapie-Methoden überflüssig macht?
Nein, Technologien wie der ExerCube sind gute Ergänzungen, aber kein Ersatz. Menschen sind sehr unterschiedlich und die Bedürfnisse nach einer Verletzung sehr individuell. Zum einen weil eine ähnliche Verletzung bei verschiedenen Personen zu unterschiedlichen Konsequenzen führt und somit der Bedarf in der Rehabilitation sehr unterschiedlich ist. Zum anderen weil Patient:innen unterschiedlich auf einen Behandlungsansatz reagieren. Zudem verändert sich der Bedarf im Verlauf der Rehabilitation. Direkt nach einem Kreuzbandriss kommen andere Techniken zum Einsatz als bei einer Sportlerin, kurz bevor sie wieder zurück in den Sport kann. Somit braucht es in der Physiotherapie verschiedene Werkzeuge, welche individuell ausgewählt und angewendet werden können. Und da ist der ExerCube ein Werkzeug, welches hoffentlich vielen Patient:innen hilft, aber nur einen Teil der Rehabilitation abdeckt.

Gibt es die Möglichkeit den Cube selbst auszuprobieren?
Ja, der ExerCube kann an verschiedenen Standorten ausprobiert werden, zum Beispiel direkt bei Sphery in Zürich. Gerne stellen wir unser Projekt auch an Anlässen vor, zum nächsten Mal am Smart Health Anlass von House of Winterthur am 27. Februar.

 

Interview: Linda Stratacò, Februar 2024