«Halb Winterthur hat bei der Standortsuche mitgemacht»
Präsidentin Bettina Stefanini erklärt, warum die Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte nicht ins Aargau gezogen ist, wieso es trotzdem in Winterthur kein Stefanini-Museum geben wird, was ihr bei der Renovation von Häusern in der Altstadt wichtig ist und was sie erlebt, wenn sie auf dem Flohmarkt nach Trouvaillen stöbert.
Bettina Stefanini
Frau Stefanini, gleich zwei erfreuliche Nachrichten gab es kürzlich von der Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG): Erstens planen Sie in Neuhegi ein neues Sammlungszentrum. Zweitens wollen Sie die lokale Kulturszene mit 500’000 Franken pro Jahr unterstützen. Beginnen wir mit dem neuen Stiftungshaus: Warum haben Sie sich für Winterthur als Standort entschieden?
Die Stiftung wurde aus den Unternehmungen meines Vaters geboren. In der ersten Hälfte seines Lebens war er Immobilienunternehmer, in der zweiten eher Kunstsammler und Stiftungsgründer. In beiden Lebensteilen war Winterthur zentral, mein Vater hat sich ganz stark mit dieser Stadt identifiziert. Unsere Stiftung ist gesamtschweizerisch ausgerichtet, sie hat aber einen Heimatort – und dieser ist Winterthur.
«Unsere Stiftung hat einen Heimatort – und dieser ist Winterthur.»
Es heisst, Sie hätten auch Möglichkeiten ausserhalb der Stadt angeschaut. Wo denn?
Nun, mein Vater hatte Schloss Brestenberg am Hallwilersee vorgesehen. Dort liess er auch einen Rohbau in den Hügel hinein erstellen, mit über 10’000 Quadratmetern Gebäudefläche – ein Riesending. Der Bau ist zur Blütezeit des Kalten Krieges entstanden, er ähnelt einem Bunker. Man hätte diesen Ort durchaus ausbauen können. Aber dann wäre die Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte zu einer Aargauer Stiftung geworden. Und wir wollten auch, dass die Sammlung und die Immobilien hier in Winterthur verbunden bleiben.
Warum denn Neuhegi und nicht ein anderer Standort in der Stadt?
Nachdem wir öffentlich gemacht hatten, dass wir uns auf Standortsuche befinden, kamen von offizieller Seite einige, wenige Vorschläge. Noch viel mehr Ideen wurden aber aus der Winterthurer Bevölkerung an uns herangetragen: Zwei Dutzend mögliche und unmögliche Vorschläge von Bürgerinnen und Bürgern gingen bei uns ein, vom Zeughaus über die Kirche Rosenberg bis zum Kirchgemeindehaus Liebestrasse. Das war wunderbar sympathisch, wir hatten das Gefühl, die halbe Stadt sucht mit uns mit. Wir entschieden uns dann aber, Grundstücke näher zu prüfen, die sich schon in unserem Besitz befinden. Darum fiel die Wahl schliesslich auf den Standort in Neuhegi zwischen Eulachpark und Hegifeldstrasse, auf dem das ehemalige Gebäude von Hexis steht. Dieses Land befindet sich in der Zentrumszone, da haben wir viel Gestaltungsspielraum.
Areal der ehemaligen Hexis in Neuhegi
Gibt es einen Architekturwettbewerb? Und bis wann soll fertig gebaut sein?
Als Ziel markiert ist 2026, das ist aber nicht in Stein gemeisselt. Und ja, wir wollen ein Konkurrenzverfahren ausrichten. Wir haben vor, das Verfahren 2021 zu starten. Wir legen aber auch Wert auf eine sorgfältige Vorbereitung.
Was ist denn noch offen?
Es ist ein grosses Areal, da hat es neben unserer Sammlung und den Büros unserer Immobilienfirma Terresta genügend Platz. Zur besseren Durchmischung überlegen wir uns, das Programm mit sinnstiftenden zusätzlichen Nutzungen anzureichern, die auch Leben aufs Areal bringen könnten...
Leben aufs Areal bringen? Gibt es denn keine Ausstellungen der Stefanini-Werke fürs Publikum?
Wir verstehen uns als Kulturdienstleister, nicht als Kulturproduzenten.
Also kein Schaulager für die Öffentlichkeit?
Allenfalls gibt es als Treffpunkt ein «Kafi Bruno» auf dem Areal, wir werden sicher auch in der Kulturvermittlung tätig sein, mit Vorträgen oder Führungen und Präsentationen, die eher Laborformate sind, aber es entsteht kein Museum oder Schaulager, nein. Das würde einen hohen Aufwand verursachen und viel von unserer Flexibilität wegfressen, ohne dass wir eine grosse Wirkung entfalten könnten. In der Schweiz gibt es über 1600 Museen, da wollen wir nicht mehr vom Gleichen schaffen. Aus meiner Sicht ist es sehr viel schlauer, bestehende Museen zu unterstützen, damit diese exzellent sein können.
«Dieses Partizipationsprojekt ist schweizweit einzigartig.»
Zur zweiten «News» der Stefanini-Stiftung: Im Rahmen des Projekts «Partizipation» stellt die SKKG einen Betrag von 500’000 Franken pro Jahr zur Verfügung, der von Laien an Kulturprojekte in Winterthur als Förderung vergeben wird. Wie kamen Sie denn auf diese aussergewöhnliche Idee?
Meinem Vater war es sehr wichtig, dass die Stiftung einer breiten Bevölkerung Kultur näherbringt. Auch mein Vater hat sich im Selbststudium an die Kunst angenähert. Dem entspricht das Projekt mit dem Laiengremium. Es soll Diskussionen auslösen: Was ist überhaupt fördernswerte Kultur? Was macht Kultur aus? Das Projekt ist – soweit wir das abschätzen können – schweizweit oder sogar im weiteren Umfeld einzigartig.
Die Stadt muss sparen. Wie stellen Sie sicher, dass die öffentliche Hand ihre Kulturunterstützung nicht kürzt, sobald ein Museum Geld von der SKKG erhält?
Wir verstehen unser Vorhaben in Winterthur als Ergänzung zur bestehenden Kulturförderung. Die städtische Förderung ist weitblickend und strategisch. Das Laiengremium wird in seinen Entscheidungen frei sein und vielleicht ganz andere Kriterien finden. Ob überhaupt ein Museum bedacht wird, werden wir sehen. Partizipation heisst für uns, Macht teilen. Wer über Budgets entscheidet, entscheidet mit, was stattfinden kann.
So engagieren wir uns mit diesem Projekt für Winterthur und die Winterthurer Kultur. Denn auch das wurde stark an uns herangetragen: Macht jetzt mit der Stiftung endlich mal etwas für Winterthur!
«Sammeln an sich ist nicht sexy, aber es dient dem Allgemeinwohl.»
Ehemaliger Hauptsitz im Umbau
Ist das auch ein Eingeständnis, dass die Stefanini-Stiftung in der Vergangenheit zu wenig für das Allgemeinwohl getan hat?
Nur teilweise. Denn was diese Kritik nicht berücksichtigt: Die Sammeltätigkeit als solche ist zwar nicht sehr sexy, aber auch sie dient dem Allgemeinwohl. Sie bewahrt Werte, die sonst kaputt gehen würden. Hätte mein Vater nicht all die Altstadthäuser gekauft, wäre das Kulturerbe von Winterthur heute nicht dasselbe. Aber der Teil der Kulturvermittlung der hat in unserer Stiftung lange gefehlt, das stimmt.
Zum Stichwort Altstadthäuser: Eines der prominentesten “Stefanini-Häuser” in der Altstadt wird derzeit umgebaut, der ehemalige Hauptsitz der Stiftung an der Ecke Markt- und Metzggasse. Gibt es da wieder Büros oder Wohnungen?
Da gibt es Büros und Gewerbeflächen und nur zuoberst eine Maisonette-Wohnung. Das ist aber eines jener Häuser, bei denen die Bausubstanz nicht mehr vollständig erhalten ist, weil es bei einem Umbau teilweise entkernt wurde.
«Wir renovieren unsere Altstadthäuser so sanft wie möglich.»
Nach und nach sollen auch Altstadthäuser renoviert werden, die noch in ursprünglichem Zustand sind, etwa die Gebäude an der Steinberggasse 4, 6 und 10. Wann wird dort gebaut?
Mittlerweile liegt die Baubewilligung vor und wir haben mit den Mietern gesprochen. Bei diesen Liegenschaften ist uns ganz wichtig, dass wir sie so sanft wie möglich renovieren. Die grössten Eingriffe sind der Anschluss an die Fernwärme, der Ersatz von Küchen, Sanitär- und Elektroinstallationen sowie der Einbau von Nasszellen.
«Stefanini-Häuser» an der Steinberggasse 4, 6 und 10
Bisher wird da noch mit Holzöfen geheizt?
Ja, die Häuser haben auch Duschkabinen in den Küchen und WCs in der Laube im Innenhof. Darum sind viele Mieterinnen und Mieter auch froh, dass wir nun renovieren. Aber wir machen das, wie gesagt, so sanft wie möglich. Alle Mieter haben das Angebot für einen neuen Mietvertrag erhalten. Der Mietzins wird zwar teilweise um 50 Prozent steigen. Man muss aber beachten, dass einige Preise im Moment so tief sind, dass sie auch nachher noch weit unter dem Niveau von vergleichbaren Wohnungen in der Altstadt liegen. Ein Grossteil der Mieter hat den angebotenen neuen Mietvertrag denn auch unterzeichnet.
Gilt der Grundsatz «so sanft wie möglich» auch für weitere Altstadtliegenschaften?
Ja. Wenn wir als Stiftung kulturelles Erbe der Bevölkerung zugänglich machen wollen, dann sind die Altstadtliegenschaften dafür bestens geeignet. Sie stehen schon mitten in der Stadt, da muss man das Publikum nicht zuerst ins Museum bringen.
«In Winterthur spürt man noch die Arbeiterstadt mit Sand im Getriebe.»
Sie sind in Winterthur aufgewachsen, waren dann rund 30 Jahre im Ausland und wohnen seit 2018 wieder hier. Wie gefällt es Ihnen jetzt in Winterthur?
Winterthur hat ein Selbstverständnis, das mir gefällt. Man spürt noch die Arbeiterstadt mit Sand im Getriebe, und die Stadt sieht sich nicht als Hauptdarstellerin im Raum. Dazu kommt die Umgebung, ich gehe gern in den Wald, fahre gern Velo. Die Verbundenheit mit der Natur, die Durchlässigkeit zu den umliegenden Dörfern: Das ist Lebensqualität. In der Corona-Zeit waren wir von Wülflingen aus häufig mit dem Velo unterwegs und drehten eine Runde durch die Wälder am Irchel.
«Mir gefällt meine normale, kleine Wohnung in Wülflingen.»
Von Wülflingen aus? Wohnen Sie immer noch in jenem «stinknormalen» Miethaus in Wülflingen, in das sie 2018 eingezogen sind?
Ja, in einer kleinen Wohnung.
Sie sind Präsidentin einer der grössten Immobilienstiftung der Schweiz mit Prachtshäusern und Schlössern im Portfolio...
Der gesamte Besitz meines Vaters gehört der Stiftung, nicht mir. Mein Amt als Präsidentin des Stiftungsrats ist ein Ehrenamt, für das ich eine Aufwandsentschädigung erhalte.
Ausserdem ist mir wohl in Wülflingen. Und die letzten zwei Jahre war immer so viel los, dass ich sowieso keine Zeit hatte, einen Zügel zu planen. Aber ja, irgendwann könnte ich schon umziehen...
Wohin?
Hmmm… An der Steinberggasse gäbe es eventuell Wohnungen, die mir gefallen würden.
Können Sie überhaupt je in Ruhe durch Winterthur spazieren?
Ich werde sehr häufig angesprochen. Auf dem Markt, im Migros... Das sehe ich als Teil meiner Rolle. Die Begegnungen sind in der Regel nicht unangenehm, häufig sind sie spannend und manchmal unterhaltsam. Kürzlich habe ich auf dem Flohmarkt zwei schöne alte Messzylinder aus Glas gefunden. Als ich den Verkäufer fragte, wie viel so einer kosten würde, sagte er. «Nur zwei Franken. Aber Sie, Frau Stefanini, müssen gleich beide kaufen, dafür gebe ich sie Ihnen für die Hälfte.» Ich hab sie natürlich lachend gekauft.
Catherine Zimpfer und Jakob Bächtold