«Ich sehe die Stadt als Innovationssystem»
Wie soll Winterthur in 30 Jahren aussehen? Unter anderem mit solchen Fragen beschäftigt sich Bettina Furrer, die Leiterin der Stadtentwicklung Winterthur. Im Interview erklärt sie, weshalb für ihre Tätigkeit WTT, also der Transfer von Wissen und Technologie in die Gesellschaft, essentiell ist und zeigt auf, wie gutes WTT für sie aussieht.
Frau Furrer, Sie sind die Leiterin der Stadtentwicklung Winterthur. Was reizt sie an ihrer Aufgabe?
Bettina Furrer: Winterthur ist eine unglaublich vielfältige, grüne und lebendige Stadt mit einer hohen Lebensqualität. Sie ist Technologiestadt, Bildungsstadt, Kulturstadt. Diese Vielfalt reizt mich als Stadtentwicklerin. Ich sehe in der Stadt ein Kaleidoskop: je nachdem, wie man draufschaut, sieht man andere Facetten und Farben.
Laut Bettina Furrer bietet Winterthur ein reichhaltiges WTT-Angebot. Foto: Piotr Metelski
Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
Stadtentwicklung beinhaltet alle Entwicklungsprozesse, die nicht einzeln, sondern in ihrem Zusammenspiel betrachtet werden. Der Widerstandsfähigkeit der Stadt messen wir dabei besondere Bedeutung zu: Winterthur soll so gestaltet sein, dass es sich gut und schnell an Veränderungen – wie zum Beispiel Demographie oder Klimawandel – anpassen kann. Dies betrifft nicht nur die «Hardware» wie Infrastruktur, Bauten und Freiflächen, die flexibel und wieder nutzbar sein sollen. Insbesondere betrifft dies auch die «Software», also gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturen.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag von Ihnen aus?
Das Schöne an meiner Arbeit ist, dass es keinen «typischen Tag» gibt. Den Grossteil meiner Zeit verwende ich für den Austausch mit internen und externen Partnern. So kann es sein, dass ich mich am Morgen von einem Investor über ein aktuelles Arealentwicklungsprojekt informieren lasse und mit ihm mögliche Nutzungsszenarien erarbeite. Am Mittag entwickle ich mit einer Trägerschaft das Betriebsmodell einer Freizeitanlage weiter, am Nachmittag bearbeite ich in einer Arbeitsgruppe das Thema Digitalisierung und am Abend nehme ich an einem Vernetzungsanlass von lokalen KMU teil.
In der Vision der Stadtentwicklung erwähnen Sie die «smarte Stadt», wie sieht ein smartes Winterthur aus?
Das smarte Winterthur nutzt Technologie zielgerichtet zu seiner Weiterentwicklung. Dabei geht es zunächst um die kundenorientierte Digitalisierung von Verwaltungsprozessen. In unserem Verständnis beinhaltet die smarte Stadt aber viel mehr. Wir fördern deshalb vielfältige Projekte wie den Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Verkehrszählung, die digitale Kunstvermittlung oder die Entwicklung von smarten Sammelfahrzeugen.
Welche Rolle spielt dabei Nachhaltigkeit?
Der Stadtrat von Winterthur hat sich schon früh zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung bekannt. Die hohe Lebensqualität und die Standortattraktivität Winterthurs sollen dabei effizient, ressourcenschonend und gesellschaftsverträglich sichergestellt und ausgebaut werden.
Angelehnt an die Vision der Standentwicklung Winterthur: Spielt WTT, also der Transfer von Wissen und Technologie, in der Stadtentwicklung eine Rolle?
WTT spielt in der Stadtentwicklung – wie in jeder Schnittstellentätigkeit – eine wichtige Rolle. Im klassischen Verständnis geht es dabei um den raschen und reibungslosen Transfer von Wissen und Technologien aus den Hochschulen in Wirtschaft und Gesellschaft. Ich persönlich verstehe WTT breiter. Ich sehe die Stadt als ein Innovationssystem, in dem verschiedene Akteure die Vision einer nachhaltigen Stadt teilen und gemeinsam an deren Umsetzung arbeiten. In einem solchen Prozess ist der Austausch von Wissen und Kooperation natürlich entscheidend.
Was heisst das konkret?
Wir arbeiten zum Beispiel an einer digitalen «Ko-Kreation-Plattform». Interessierte Stakeholder können dort ihre Ideen für die Weiterentwicklung von Winterthur einbringen. Die Plattform ermöglicht, dass Akteure mit unterschiedlichen Kompetenzen zusammenfinden. So etwa Einwohnerinnen mit innovativen Ideen, zuständige Verwaltungsstellen, interessierte Forschende, umsetzungsorientierte Start-ups und finanzkräftige Investorinnen. Mit der Plattform werden also auch jene Stakeholder angesprochen, die im Rahmen der «klassischen» Forschung & Entwicklung eine eher untergeordnete Rolle spielen. Das macht für mich gutes WTT aus, von dem alle Akteure profitieren.
Sie waren auch lange im Start-up-Umfeld tätig. Welche Rolle spielt WTT da?
Wie für alle Unternehmen ist auch für Start-ups Wissens- und Technologietransfer zentral. Dabei geht es zunächst um Patente und deren gewerbliche Nutzung. Sie sind oftmals die Grundlage für die Finanzierung der Wachstumsphase. Start-ups erhalten in solchen Fragen gute Unterstützung z.B. von an Hochschulen angesiedelten Technologietransferstellen. Es gibt aber auch andere wichtige Ansätze, die WTT befördern, wie zum Beispiel die projektorientierte Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und der Hochschule oder das gezielte Pflegen von Netzwerken.
Wie die meisten Hochschulen und Universitäten besitzt auch die ZHAW School of Engineering über eine Stabsstelle für Technologietransfer. © ZHAW
Welche Angebote gibt es hierzu in Winterthur und werden diese genutzt?
Winterthur bietet ein reichhaltiges WTT-Angebot, das meines Erachtens auch in der Start-up-Szene gut bekannt ist. So sind zum Beispiel mit dem Technopark und dem Home of Innovation zwei Institutionen präsent, die weit mehr als «Räume» für Start-ups bieten. Hier können Start-ups auf Unterstützung und Know-how zurückgreifen und sich mit ihresgleichen vernetzen. Die ZHAW spielt ihrerseits eine wichtige Rolle. Zum Beispiel gehen viele Start-ups aus Forschungsprojekten der Hochschule hervor. Andererseits suchen Institute der ZHAW aktiv den Kontakt zu Unternehmen, um mit ihnen projektorientiert zusammenzuarbeiten. Nicht zuletzt berät House of Winterthur Unternehmen aller Grössen bei der Standortsuche, vernetzt zielgerichtet bei spezifischen Bedürfnissen und organisiert reichhaltige Eventreihen.
Interview: Linda Stratacò, Juni 2022